Deklassierung

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Deklassierung: “Abstieg” in der Klassenhierarchie

Deklassierung

Deklassierung bedeutet in der Klassenposition “abzusteigen”.
Der Begriff greift auf eine Bilderproduktion zurück: Klassen sind demgemäß von oben nach unten geordnet und Deklassierung ist der “Abstieg” von einer Klassenposition in eine darunter liegende Klassenposition. Dieser Abstieg zudem negativ bewertet. Deklassierung meint somit nicht einen neutralen Vorgang, sondern bewertet diesen Vorgang als “etwas Schlechtes”.

Eine andere, nicht gebräuchliche, aber sinnvolle Verwendung des Begriffs “Deklassierung” würde die De-konstruktion von Klasse bedeuten. Der Begriff der Dekonstruktion wird hauptsächlich in Genderdiskussionen (Judith Butler) verwandt und meint, Gender in einer ungebräuchlichen “falschen” Form zu konstruieren, er macht aber in klassenspezifischen Diskursen und Praxen ebenfalls Sinn. Deklassierung wären dann Formen von “Hochstapelei” (oder “Tiefstapelei”), wobei die topologischen Zusätze “Hoch” und “Tief” unzulässige klassistische Wertungen beinhalten. Ein paradigmatisches Beispiel für Deklassierung im dekonstruktivistischen Sinn wäre die Geschichte “Der Hauptmann von Köpenick”.

Deklassierung und Gewalt

Es hat den Anschein, dass vor allem junge Männer aus der Mittelschicht auf eine empfundene Deklassierung gegenüber der Klassenposition ihrer Eltern potentiell extrem gewalttätig werden können. So waren alle Amokläufer der letzten Jahre in Deutschland junge Männer aus der Mittelschicht, die sich in einer Phase der Deklassierung befanden.

Auch die Mitglieder des Nationalsozialismus waren vor allem junge Männer aus der Mittelschicht, die sich von einer Deklassierung bedroht fühlten:

“Mitglieder und Wähler kamen vor allem aus den Schichten, die sich von der Krise in ihrer Existenz bedroht sowie um ihre Zukunft betrogen fühlten und die auf eine Veränderung aber nicht im Sinne der sozialistischen Parteien drängten. … Aktive Mitglieder der NSDAP waren vor allem jüngere Männer. Nur 7,8 Prozent der Neuzugänge zwischen 1925 und 1932 waren Frauen. Fast 70 Prozent der Mitglieder im Jahre 1930 waren jünger als 40 Jahre, 37 Prozent jünger als 30 Jahre. Auch von den Parteifunktionären waren 65 Prozent unter 40 Jahre, 26 Prozent unter 30. Neben der sozialen Rekrutierung spielte also das Alter, das jugendliche Auftreten, eine erhebliche Rolle für den Beitritt zur NSDAP. In sozialer Hinsicht stammten von den neuen Mitgliedern der Jahre 1930 bis 1932 35,9 Prozent aus den Unterschichten, 54,9 Prozent aus der unteren Mittelschicht und 9,2 Prozent aus der Oberschicht. Im Vergleich zur Gesamtbevölkerung waren die untere Mittelschicht und die Oberschicht deutlich überrepräsentiert, die Unterschichten unterrepräsentiert.”[1]

Trotz des extrem gefährlichen Potentials, welches von jugendlichen Männern der Mittelschicht ausgehen kann, wenn sie sich von Deklassierung  betroffen fühlen – individuell Amokläufer, kollektiv Kerngruppe der nationalsozialistischen Bewegung – wird diese gesellschaftliche Gruppe und ihr angeeigneter Habitus kaum reflektiert.

– Artikel wird fortgesetzt –

Weblinks

Literatur

  • Gerhard Hafner: Lief Herr S. Amok? Amok oder Massenmord?, in: Freitag. Die Ost-West-Wochenzeitung, Nr. 20, 10.05.2002
  • Michael Vester: Soziale Milieus zwischen Individualierung und Deklassierung, in: Jürgen Mansel, Klaus-Peter Brinkhoff (Hrsg.): Armut im Jugendalter: Soziale Ungleichheit, Gettoisierung und die psychosozialen Folgen, Juventa 1998